28. März 2016

Charlotte Lyne. Charlotte Roth. Carmen Lobato. Schreiben gegen den Krieg.

Heute habe ich die Ehre euch eine meiner absoluten LieblingsautorInnen vorzustellen: Charlotte Lyne, auch bekannt unter ihren Pseudonymen Charlotte Roth und Carmen Lobato. Unter letzterem ist erst ihr neuester Roman Und sie werden nicht vergessen sein erschienen, ein ganz großartiges Buch! Hier gibt es mehr zu diesem wunderbaren  Roman. Übrigens  kann ich an dieser Stelle nur noch einmal sagen: Unbedingt lesen!



Dein neuer Roman Und sie werden nicht vergessen sein ist unter deinem Pseudonym Carmen Lobato erschienen, insgesamt hast du drei solcher Namen. Wer verbirgt sich jeweils dahinter und für welche Art von Büchern stehen sie?
Ja, die Frage verstehe ich gut. Sie ist mir auch auf meiner Lesereise oft gestellt worden, und leider gibt es keine so richtig befriedigende Antwort darauf. Pseudonyme werden von Verlegern häufig gewünscht, und nicht immer ist der Grund dafür ganz durchsichtig. In meinem Fall wollte der Verlag gern, dass sich meine neuen Bücher von den klassisch historischen Romanen, die ich unter meinem Namen (Charlotte Lyne) veröffentlicht habe, abheben, um keine Leser zu verprellen. Das war mir sehr recht, denn ich wollte vom klassischen Historienroman gern weg und war dankbar für den Neuanfang. So entstand Charlotte Roth. Carmen Lobato war dann eine weitere Schiene, unter der zwei Mexiko-Romane herauskamen, und bis dahin war das auch alles überzeugend und sinnvoll, fand ich. Dass aber dieser Roman – aus etwas komplizierten Gründen, deren Schuld leider vor allem bei mir liegt – unter Carmen Lobato erschienen ist, macht mich sehr traurig. Ich mag den Namen gern – Lobato hieß meine wundervolle Schwiegermutter, und Carmen hätte mein jüngstes Kind geheißen, wenn er kein Raul geworden wäre - , aber der Roman gehört thematisch eindeutig zu den Charlotte Roth-Büchern, und für mich wäre es schön gewesen, wenn mein liebstes Buch vom Erfolg der Roth-Bücher hätte profitieren können. Ich denke, wer „Als wir unsterblich waren“ mochte, wird dieses Buch auch mögen, und wer das eine grässlich findet, findet sie alle grässlich. Insofern tut mir jeder, der verbreitet, dass die Roth und die Lobato ein und dieselbe sind, einen großen Gefallen!


In der Geschichte um Amarna und Arman spielt das vergangene altorientalische Königreich Urartu eine große Rolle, vor deinem Roman eine mir vollkommen unbekannte Welt. Wieso hast du ausgerechnet dieses Fleckchen Erde gewählt?
Was für eine schöne Frage! Von Urartu erzähle ich sehr sehr gerne, weil es mich so freut, wenn diese Hochkulturen, die uns so unschätzbar viel hinterlassen haben, nicht vergessen werden. Gerade zur Zeit, wo so viele ihrer Zeugnisse bedroht oder bereits zerstört sind. Ich habe mich vor einiger Zeit beruflich noch einmal in eine neue Richtung orientiert und mich dabei in die unglaublichen ersten Super-Städte der Geschichte und diese Geburtsstätte der Zivilisation im Mittleren Osten verliebt. Uruk, Babylon, Niniveh, Ur, Nimrud ... aus den traurigsten denkbaren Gründen können wir die meisten davon derzeit nicht besuchen – und wenn wir es hoffentlich eines Tages wieder können, sind sie so, wie wir sie kannten und unseren Enkeln zeigen wollten, nicht mehr da. Umso intensiver habe ich die besucht, die uns offenstehen – zuerst Hattusa, die Hauptstadt der Hetither, und dann Tuspa und Erebuni (das unbeschreiblich schön ist) im Gebiet von Urartu. Es ist mir sehr nahe gegangen, dass dieses versunkene Königreich, das die Wurzelspitze des armenischen Volkes bildet, so wenig bekannt ist, dass schon so vieles verloren ist und das Wenige gefährdet. Ich habe mich vor allem für den Umgang der Urartäer mit Stein begeistert, den ich durch die gesamte armenische Geschichte in verschiedenster Form immer wieder finde, für diese Überzeugung, die Seele verstorbener Menschen, ihr Wesen und ihre Kräfte ließen sich im Stein bewahren. Mir war klar, dass meine Hauptfigur Amarna versuchen würde, dieses Erbe des fast ausgelöschten Volkes zu bewahren, und ich wollte gern davon erzählen.
Übrigens: Wer die Gelegenheit hat, Erebuni – hoch über der armenischen Hauptstadt Yerevan - zu sehen, dem kann ich dazu nur unbedingt raten. Man hat dort die Gelegenheit zu etwas, das mir auf all meinen Reisen nie zuvor möglich war: Man ist mit der riesigen Ausgrabungsstätte einer mittelöstlichen Hochkultur vollkommen allein. Es ist ein Gefühl, als wäre man selbst einer jener Pioniere der Archäologie und entdecke ein versunkenes Reich.

Amarna und Arman sind mir sehr nahe gegangen, weil sie einach solche lebendigen und besonderen Menschen waren. Und so ging es mir bei jedem einzelnen Charakter. Es sind viele und doch ist jeder anders und sticht hervor.Wie machst du das? Sind dine Figuren frei erfunden oder an bestimmte Personen angelehnt?
Du weißt nicht, wie sehr ich mich darüber freue, Sophie. Ich habe von Kollegen sehr oft Geschichten von Figuren gehört, die mit ihnen am Frühstückstisch saßen, sich neben sie ans Laptop hockten und sich von ihnen ausfragen ließen. Mich hat das unendlich fasziniert und ein bisschen (freundlich) neidisch gemacht, denn ich hatte solche Figuren nie. Ich musste meine mühsam zusammensetzen und dann hoffen, dass ich sie irgendwie zum Laufen, Sprechen, Atmen bringen würde. Und dann hatte ich auf einmal Arman, Amarna und ihr Völkchen, die stillschweigend in mein Haus zogen und zwei Jahre mit uns verbrachten. Gefrühstückt haben sie nicht mit uns, das ist mit einem Anorektiker auch kein Vergnügen, auch haben sie sich um uns eher wenig gekümmert, sondern sich ausschließlich miteinander beschäftigt, aber sie waren präsent und lebten, ganz von allein. Ich brauchte sie nicht zu beatmen, sondern hatte nichts weiter zu tun, als ihnen zuzusehen, und das war wundervoll. Als das Buch fertig war, waren sie über Nacht verschwunden, und mein lautes Haus kam mir still vor. Sie fehlen mir immer noch.
Frei erfinden könnte ich, glaube ich, eine Figur nicht, dazu fehlt mir die Phantasie. Ich führe sehr viele Interviews mit Menschen, die in ähnlichen Situationen waren oder sind wie die Figuren, die ich aufs Papier stellen möchte, ich sehe sehr viele Dokumente zu Lebensgeschichten von Menschen durch und bemühe mich dann, die Figur aus den gesammelten Elementen zusammenzusetzen. Manchmal bekomme ich eine geschenkt. Dann gebe ich mir Mühe, sie so gut, wie ich kann, in Ehren zu halten.

Wieviel Vorarbeit musstest du leisten, bis du die ersten Seiten schreiben konntest? Ich habe nämlich auch gelesen, dass du alle Schauplätze deines Romans selbst bereist hast. Oder schreibst du nebenbei?
Nein, das kann ich gar nicht. Ich mache zwar während der Recherchezeit natürlich etliche Notizen, und recherchiere während des Schreibens immer noch dieses oder jenes nach – aber mit dem eigentlichen Text fange ich immer erst an, wenn ich glaube, Recherche und Planung halbwegs abgeschlossen zu haben. Ich bin – wie gesagt - ein Autor ohne viel Phantasie, ich muss alles, was ich beschreiben will, auf die eine oder andere Weise mal in der Hand gehabt und am besten auch in den Mund gesteckt haben. Die Zeit der Recherche, die Reisen, die Begegnungen und Interviews, die Besuche in Museen und an Spielorten, die Stapel von Dokumenten und Büchern – das ist für mich die schönste und aufregendste Zeit, und ich muss aufpassen, dass ich mich irgendwann zur Ordnung rufe und damit auch wieder aufhöre. Bei Ararat hat die Recherche ein Jahr gedauert, wobei ich aber nicht von Null angefangen habe. Bei Ararat war alles sehr schön und hätte ewig dauern können – sogar das Schreiben.

Wenn ich einen neuen Roman von Dir sehe, dann lese ich ihn meistens ohne vorher den Klappentext gelesen zu haben. Einfach weil ich weiß, dass deine Bücher großartig sind. Geht es Dir bei einigen AutorInen auch so? Wen liest du wahnsinnig gerne?
Oh ja, das geh mir nicht anders! Unter den lebenden Autoren sind die, die ich blind kaufe und deren Büchern ich entgegen zittere Navid Kermani, Orhan Pamuk, Philip Roth (von dem es leider kein neues Buch mehr geben wird), Stewart O’Nan, und seit neuestem Abbas Khider! Außerdem habe ich noch einen ganz neuen Lieblingsautor entdeckt und kann sein nächstes Buch kaum erwarten, obwohl ich ihm wünsche, dass er sich alle Zeit lassen kann, die er braucht: Pierre Jarawan, der mich mit seinem Debüt „Am Ende bleiben die Zedern“ gerade tief beeindruckt hat. Von allen kaufe ich jedes Buch so schnell, wie ich es erwischen kann, ohne mir den Klappentext auch nur anzusehen.
Dass du dich auf meine Bücher so freust, macht mich sehr aufgeregt. Danke dafür!

Apropos Lesen und Schreiben. Wo kannst du mehr abschalten?
Gute Frage ... ich glaube, ich kann das bei beidem gar nicht, sondern eher beim Laufen und Reiten. Wenn mir ein Buch gefällt, dann regt es mich auf...

Tausend Dank, liebe Charlie, dass du Dir Zeit für meine Fragen genommen hast. Gibt es etwas, dass du deinen Lesern noch gerne sagen möchtest?
Danke, vor allem. Damit, dass er sich Zeit für mein Lieblingsbuch nimmt und ihm Aufmerksamkeit schenkt, macht mir jeder Leser ein Geschenk, das ich ihm unmöglich zurückgeben kann. Ich habe auf dieses Buch sehr lange gewartet, es ist mein intensivster Versuch, von dem, was mich und mein Leben ausmacht, etwas weiterzugeben, und wer dem zuhört, erweist mir viel Ehre. Danke – dir, liebe Sophie, ganz besonders. Ich habe unter www.charlotte-lyne.com einen Blog eingerichtet, der die Entstehung des Romans dokumentiert, und auf Facebook gibt es eine lesebegleitende Gruppe (voller wundervoll lebendiger, kluger Mitglieder) „Ararat – Doris Pimm’sParty“. Da wie dort freue ich mich jederzeit über Fragen, Anmerkungen, Eindrücke und Kritik. Ich habe außerdem auf beiden Plattformen viele Bilder von den Recherchen und Hintergrundmaterial zum Buch eingestellt und heiße jeden, der Interesse daran hat, sehr herzlich willkommen.

Ich hoffe ihr hattet bei diesem kleinen Interview genau so eine Freude wie Charlie und ich.
Alles Liebe,

Alles in diesem  Blogbeitrag  vorkommenden Bilder stammen aus der Facebookgruppe Doris Pimm´s Party der Autorin.

Vielleicht magst du auch folgendes

0 Kommentare