Es ist im Winter 1801, als ein junges Mädchen nahe dem Hungertod in den Hof von Alice Beckwith, dem Mündel von Lord Faulkes, stolpert. Niemand weiß, wer sie ist oder woher sie kommt und so wird sie kurzerhand Starling genannt, nach dem Schwarm Stare, der sie zu Alice brachte, Die beiden Mädchen werden füreinander wie Schwestern. Und trotzdem hat Alice ein Geheimnis, welches sie nicht einmal ihrer neu gewonnenen Schwester anvertrauen kann. Sie und Jonathan Alleyn, der Enkel Lord Faulkes, sind ein Liebespaar und wollen heimlich heiraten. Aufgrund ihrer Eifersucht, lässt sich Starling auf einen folgenschweren Verrat ein und Alice verschwindet spurlos.
Zwanzig Jahre später leiden Jonathan und Starling jeder auf seine eigene Weise unter dem Verlust von Alice und der ungeklärten Frage, was aus ihr geworden ist. Als dann auch noch Rachel Weekes zufällig auf dem Anwesen der Alleyns auftaucht, wird das Rätsel und die Fragen um ihr Verschwinden immer größer, denn Rachel scheint ihr wie aus dem Gesicht geschnitten zu sein. Ist Alice tatsächlich mit einem anderen Mann durchgebrannt, Oder wurde sie, wie Starling vermutet, ermordet?

Das fremde Mädchen ist ein bildgewaltiges Drama. Ein Drama der Missverständnisse, Rätsel und verborgene Leidenschaften, die in die finsteren Teile der menschlichen Seele blicken lassen. Es ist düster, so wie Sturmhöhe oder andere Werke von Charlotte, Emily und Anne Brontë. Und dann gibt es da diesen Hauch Jane Austen- Flair, der alles umgibt. Trotz dieser Ähnlichkeiten hat Katherine Webb aber ihre ganz eigene Note in ihren Roman eingebracht, die eine ganz besondere Atmosphäre beinhaltet.

Dreh- und Angelpunkt dieses Dramas ist Starling, das Mädchen ohne Vergangenheit. Ihre starken Emotionen bezüglich des Verlustes von Alice verändern ihr ganzes Leben.. Wie besessen versucht sie Jahr für Jahr immer noch herauszufinden, was mit Alice geschehen ist, Denn sie ist von einem Mord überzeugt und ihr Hass treibt sie an. Ihr teilweise wahnhaftes Verhalten zieht immer weitere Kreise, sodass mehr und mehr Schicksale mit der Alice- Tragödie in Berührung kommen und sich unwiderruflich ändern.

Beides sind sehr starke Frauen, die schon früh im Leben schwere Schicksalsschläge ertragen mussten. Sie sind mit neuer Stärke daraus hervorgegangen, wenn sie auch auf unterschiedliche Art und Weise mit unangenehmen Situationen umgehen. Rachel aus der gehobenen Gesellschaft klammert sich an gesellschatftliche Strukturen, das Dienstmädchen Starling hingegen reagiert mit Kälte und Schlagfertigkeit. Webbs Protagonistinnen sind authentisch und komplex, genau wie auch die Geschichte und der Schreibstil. Alles ist bis ins letzte Detail durchdacht. Von Seite zu Seite wird deutlicher, inwiefern alle Einzelheiten ineinander greifen.

Zum Schluss habe ich zu diesem gelungenen Buch doch noch eine kleine negative Kritik. Zum einen waren mir die einzelnen Kapitel mit über hundert Seiten zu lang.Ich lese gerne mal zwischendurch im Zug und dann ist das eher störend. Zum anderen beinhaltet dieser Roman zahlreiche Längen, die man geduldig lesen muss, von ausschweifenden Beschreibungen bis hin zur exakten Wiedergabe minutenlanger Gespräche.