24. September 2016

Das Echo der verlorenen Dinge von Anita Shreve


Autor: Anita Shreve | Titel: Das Echo der verlorenen Dinge | Roman | ISBN 978-3-492309325 | PIPER | 01. Juli 2016 | Taschenbuch mit flexiblem Einband | 304 Seiten

Eines Tages wacht Schwester Stella Bain in einem Lazarett in Frankreich auf. Alles woran sie sich erinnern kann ist ihr Name wie ein fernes Echo und die Tatsache, dass sie Krankenschwester ist. Ansonsten fehlt jede Verbindung zu dem Leben, das sie geführt hat, bevor sie durch eine Granate verwundet worden ist. Als ihre Erinnerungen nicht zurückkehren wollen, ist ihre letzte Hoffnung der Arzt August Bridge, der die verwirrte Frau in sein Haus aufnimmt. Angeregt durch Freuds neuartige Methoden der Psychoanalyse hört er Stella in seinen Sitzungen zu. Außerdem hat sie ein außergewöhnliches Talent zu zeichnen und so strömt ein Bild nach dem anderen aus ihr heraus, welche Dr. Bridge und sie gemeinsam interpretieren: Echos der verlorenen Dinge und zugleich Spuren in die Zukunft.

Eine einschneidende Zäsur in dieser eindringlichen Geschichte ist der Moment, in dem all ihre Erinnerungen und Emotionen auf Stella einstürzen und sie mit einem Mal erkennt, wer sie wirklich ist: Eine Frau, die ihr Land und ihre Kinder verlassen musste. Auch wenn sie in ihrer Heimat auf tiefe Ablenung stößt, ist sie bereit zurückzukehren und um ihre Kinder zu kämpfen.  Sie ist dazu bereit, obwohl auch all die schlechten Erinnerungen sie umhertreiben, wieso sie ihr Land verlassen hat. Darunter ihr liebloser Ehemann, unter dem sie Jahre lang gelitten hat. Ein Grund mehr, weshalb sie London und die Frau, die sie dort gewesen ist, nicht vergessen kann.

Ab diesem Zeitpunkt werden die offenen Fragen in Anita Shreves Geschichte immer spannender, sowohl für Stella, als auch den interessierten Leser. Ist das, was Stella Bain ohne Erinnerungen getan hat, von Bedeutung? Sind all die Empfindungen dieser Zeit real gewesen? Stella steckt plötzlich in einer noch größeren Identitätskrise. Wie kann sie sich sicher sein, welche Frau sie ist? Diejenige vor dem Gedächtnisverlust, die danach, oder etwa beide?

Eine tragische Geschichte, die aber auch voller Hoffnung steckt. Es ist ein ruhiger Roman, in dem nicht die Handlung voranprescht, sondern in dem der Blick auf das Innenleben der Figuren gelenkt wird. Es geht um Neubeginn, um Verlust und Erinnerungen. Und um die Frage, inwieweit unsere Vergangenheit und unsere Erinnerungen uns zu dem Menschen formen, der wir sind. Das sind sehr große Fragen in einem kleinen Buch von gerade einmal 300 Seiten, die aber emotional und eindringlich an den Leser herangebracht werden. Shreve schreibt ganz zauberhaft und fordert den Leser als Autorin, was mir immer sehr gut gefällt. Verschiedenen Zeitebenen und Schauplätze, Briefe, Erinnerungen, Bilder... Der Leser ist in der Position die Eindrücke selbst zu sortieren und zusammenzubringen.

Ein Buch ohne viel Tamtam, sondern mit ganz viel Ehrlichkeit und den schönen, leisen Tönen des Lebens. Dennoch hätte ich mir gewünscht, dass bei den einzelnen Charakteren mehr in die Tiefe gegangen und der Prozess der Erinnerungssuche mehr ausgebaut wird.

Ein herzliches Dankeschön geht an den Piper Verlag, der so freundlich war mir ein Leseexemplar von dem "Echo der verlorenen Dinge" bereitzustellen. Merci.

Vielleicht magst du auch folgendes

0 Kommentare