30. November 2016

Nussschale- Ian McEwan


Autor: Ian McEwan | Titel: Nussschale | Roman | ISBN 978-3-257069822 | Diogenes | 26. Oktober 2016 | Hardcover aus Leinen mit Schutzumschlag | 288 Seiten

Auf die Frage, ob mir McEwans Nussschale denn nun gefallen hat, muss ich mit einem ganz klaren JEIN antworten. Selten fand ich ein Buch so seltsam und verstörend, auf der anderen Seite aber genau deshalb oder aus anderen Gründen so faszinierend.

Es ist ein ungewöhnlicher Erzähler, aus dessen Perspektive McEwan diesen Roman an uns Leser hernaträgt. Es handelt sich dabei um ein Wesen, das noch gar nicht wirklich lebensfähig ist. Ein Embryo drei Wochen vor seiner Geburt. Er beschreibt seine Lage gleich zu Beginn des Buches wiefolgt: So, hier bin ich, kopfüber in einer Frau. Ich warte, die Arme geduldig gekreuzt, warte und frage mich, in wem ich bin und worauf ich mich eingelassen habe. (S.9)

Der namenlose Embryo hat den Verstand eines hochintelligenten Absolventen einer renomierten Universität und macht sich selbst und ständig ein Bild der Welt, indem er aufmerksam alle Gespräche um sich herum belauscht. Radio hört er besonders gerne und da wird die Mutter nachts auch gerne einmal mit Tritten geweckt, um das Radio einzuschalten. Während dieses Wesen in seiner Plazenta schwimmt, wie er so gerne betont, reflektiert er die Welt und das Leben und gerne auch die Beziehung seiner Eltern. Seine Mutter Trudy ist nämlich nicht mehr mit ihrem Ehemann John zusammen, sondern hat sich dessen eher dümmlichen Bruder Claude zugewandt. Gemeinsam wohnen sie in einem Haus in einem guten londoner Stadtteil und wäre John aus dem Weg geräumt, dann würde das schicke Domizil ihnen gehören. Nach und nach setzt der intelligente Embryo in Trudys Bauch alle Informationen zusammen und  versteht den heimtückischen Plan, wie genau sein Vater aus dem Weg geräumt werden soll. Mit Gift.
Aber was kann ein dieses kleine Ding, noch nicht ein richtiger Mensch, gefangen im Bauch seiner Mutter schon tun, außer zu lauschen und zu verstehen?

Dies ist ein Buch auf welches man sich wirklich vollkommen einlassen muss. Zunächst verstörend erkennt man nach wenigen Seiten seinen philosophischen Charakter. Der unschuldige Protagonist, unschuldig schon allein durch sein Nicht- Mensch- Sein, hat einen ungefilterten Blick auf die Welt, in der wir leben. Er hält dem Leser einen Spiegel vor mit allen Facetten des 21. Jahrhunderts, den guten, wie den schlechten. In Nussschale, meinem ersten Buch von Ian McEwan, habe ich den Autor als einen Meister des Erzählens kennengelernt. Jeder Satz ist bewusst gesetzt und enthält sehr viel Substanz. Deshalb ist dieser Roman langsam und bewusst zu lesen.

Spannend fand ich auch die Vermischung in diesem Werk aus Komik und Elementen eines Kriminalromans, die federleicht miteinander kombiniert werden. Komik allein durch die Beschaffenheit des Erzählers und seinen unnützen Ideen, wie er im Bauch seiner Mutter versucht den Vater zu retten. Und trotzdem, trotz allem, was fesselt, empfand ich das Buch bis zuletzt als verstörend und weiß nicht so recht, was ich davon halten soll.
Ja, irgendwie hat es mir gefallen und die Bezüge zu Hamlet sind grandios gesetzt. Und ich weiß, dass Nussschale in der Literaturkritik hoch gelobt wird. 100%ig anschließen kann ich mich dem trotzdem nicht. Denn auf der anderen Seite bleibt dieses verstörende Gefühl bis zum Ende, was bei mir zeitweise in Genervtheit umschlug. Der Embryo wechselt von Intelligenz nicht selten zu neunmalklugen Aussagen und die Längen, durch die man sich zeitweise zu kämpfen hat, haben meinen Lesefluss auch des öfteren gestört.

Alles in allem ein verblüffendes Werk, welches dem Leser durch die Augen eines ungewöhnlichen Erzählers mit viel Ironie und Witz die Welt erklärt.

Ein herzliches Dankeschön an den Diogenes Verlag, der so freundlich war mir ein Rezensionsexemplar der Nussschale zur Verfügung zu stellen.

Vielleicht magst du auch folgendes

2 Kommentare

  1. Ich denke, für dieses Buch braucht man eine Gebrauchsanleitung ;-) Man muss von vorneherein jeden Realitätsanspruch fallen lassen. Ich bin fast fertig mit dem Lesen, aber ich ändere alle 10 Minuten meine Meinung, ob es mir gefällt oder nicht.
    http://kunterbunt11.wordpress.com
    (Name/Url geht bei dir nicht)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hallo Ingrid,
      bei diesem Buch hast du vieleicht recht, einfach ist es nicht ;) Dass du während des Lesen alle 10 Minuten deine Meinung änderst, kann ich vollkommen verstehen. Ich tue es irgendwie immer noch!
      Liebe Grüße,
      Sophie

      Löschen